Sich im Flachland mit bestenfalls ein paar Hügeln in der Nähe auf eine alpine Hochtour vorzubereiten, erfordert schon einiges an Kreativität. Nachdem das schon einmal erfolgreich geklappt hatte, musste die Messlatte jetzt wohl doch etwas höher gelegt werden. Sich im noch flachereren Land mit gar keinem Hügel und noch weniger Training vorzubereiten, grenzte dabei schon fast an Verwegenheit.

Von der Küste ins Hochgebirge – why not!

Also, wenn man unbedingt seine Grenzen austesten möchte, kann ich diese Kombination nur empfehlen. Auf dieser Tour habe ich die meinigen einmal wieder zu spüren bekommen. Nach einem Job- und Standortwechsel und den damit initial verbundenen höchst suboptimalen Bedingungen (= so gut wie kein Sport) für die sportliche Vorbereitung, ging es wenige Monate später wieder in die Berge. In der Anforderungsbedingung für die Tour stand: „Diese Tour ist nur für geübte Bergsteiger*innen mit Hochtourenerfahrung geeignet und darf (auch konditionell!) nicht unterschätzt werden“ (DAV Summit Club). Ich dachte mir da schon, dass es eine verrückte Idee war. Aber das war für mich kein ausreichender Grund, die Tour abzusagen. Vielleicht reichte ja auch nur Erfahrung…!?

2. Juli 2023

In unserer kleinen, noch von der Haute Route im letzten Jahr erprobten Dreierseilschaft mit Bergführer trafen wir uns am Vorabend der Tour im „Bergfreund“ in Herbriggen (2 Glacier-Express Haltestellen vor Zermatt) und genossen direkt einen Vorgeschmack auf die kommende Hüttenromantik: Ein Bettenlager, wo man nur vor dem Bad (immerhin hier vorhanden!) aufrecht stehen konnte. Aber es wurde auch ein entspanntes Wiedersehen unserer kleinen Truppe und Kennenlernen unseres neuen Bergführers beim gemeinsamen „Nachtmahl“.

Die geplante Tour mit dem DAV Summit Club war so beliebt wie herausfordernd: die bekannte „Spaghetti-Runde“, eine 5-tägige Hochtour mit 10 Viertausendergipfeln über die namensgebenden italienischen Hütten im Walliser Monte-Rosa-Massiv. Ich kannte bisher nur die schweizerischen und die französischen Hütten – die italienischen sollten eine neue, sehr prägende Erfahrung werden.

Die Zermatter Bahnhofstraße
Zermatter Schwarzhalsziegen

3. Juli 2023

Der erste Tag begann, wie so oft in Zermatt, mit einem einfachen und beliebten Gipfel, dem Breithorn (4160 m), gemütlich zugänglich über den Matterhornexpress und die Gondel auf das „Klein Matterhorn“ (3883 m). Ich war gespannt, wie meine reduzierte Kondition mit der Höhe zurecht kommen würde, und war erfreut, dass sich bei mir noch kein Zeichen des Unwohlseins regte. Wir gingen es gemütlich an, aber jeder Tag würde anstrengender werden: mehr und höhere Gipfel. Nach 2 Tagen Akklimatisation war auch nicht mehr zu erwarten, und jeder musste seinen Rhythmus finden.

Den Gipfel des Breithorns (4160 m) in Sicht (links oben)

Die Besteigung des Breithorns gilt vornehmlich als einfach, obwohl es schon einige Tote hier gegeben hat, und Gletscherspalten waren bis vor wenigen Jahren unproblematisch. In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass sich die Gletscherlandschaft verändert, dass sich mehr Gletschspalten zeigen und sich früher im Jahr öffnen, unter anderem da die Schneedecke im Winter diese nicht mehr vollständig zu verdecken vermag. Anseilen war auf der ganzen Tour Pflicht.

Blick ins Tal auf die italienische Seite

Im Zickzack arbeiteten wir uns den Gipfel hinauf, flanktiert von einigen anderen Seilschaften, bis wir nach ca. 3 Stunden das großartige Panorama auf der anderen Seite des Breithorns bewundern konnten. Zeit für Gipfelfotos und Posing.

Blick zur italienischen Seite in das Monte-Rosa Massiv

Für uns ging es dann auf dem Breithornkamm wieder abwärts, den „Castor“ mit „Pollux“ im Blick, auf den es morgen gehen sollte. Wir hatten unseren ersten Gipfel für heute gemeistert, und nun stand „nur“ noch der Abstieg zur 3425 m hochgelegenen „Ayas“ Hütte (Refugio Guide d’Ayas, Italien) bevor. Durch die Sonnenstrahlung des mittlerweile vorangeschrittenen Tages war der Schnee bereits recht weich geschmolzen, und das Gestapfe mit knapp 20 kg Gepäck (und Ausrüstung) auf dem Rücken beschwerlich. Immer wieder brach man ein und musste Kraft aufbringen, um die Füße aus dem Schnee zu ziehen und den nächsten vorsichtigen, aber zügigen Schritt zu machen. Je länger wir hier unterwegs wären, um so weicher würde der Schnee und umso anstrengender das Gehen.

Matratzenlager zusammen mit anderen Gruppen – im Bild sieht es größer aus, als es war

Als wir die Hütte endlich erreicht hatten, waren wir erleichtert und gönnten uns einen Kaffee und ein Stück Kuchen. Das Beziehen der Bettenlanger ging schnell: Irgend etwas auf die schmale Matratze werfen (wir teilten uns zu Viert eine 3er Matratze). Die Hütte war ausgebucht, von Corona war hier nichts mehr zu spüren. Der größere Kulturschock ereilte mich beim Besuch der Toiletten. Egal wie man sie nennen wollte – „französische“, „türkische“ oder „italienische“ Toiletten (vermutlich jeweils vom anderen Land so bezeichnet) – es war ein ungemütliches Stehklo ohne Spülung. Und das nach einem ganzen Tag im Hochgebirge mit Komplettausrüstung, meine Oberschenkel haben sich gefreut. Ich habe es mir leidlich verkniffen, diese Örtchen zu fotografieren. Ansonsten verbrachten wir aber einen sehr netten Abend mit gutem Essen, geselliger Nähe (unvermeidbar-die Hütte war voll) und Bier. Es gab allerdings keine Spaghetti.

4. Juli 2023

Hütte mit Helilandeplatz am Morgen

Heute wurde das Level gesteigert, wir wollten „Castor“ (4225 m), den größeren der beiden Zwillinge, besteigen. Nach dem üblichen Hüttenfrühstück um 5 Uhr ging es zwischen 6 und 7 Uhr los.

Am langen Seil geht’s den Gletscher hinauf Richtung Castor

Unsere Dreierseilschaft zog wacker los, ich war mit zwei gut trainierten Männern unterwegs. Ich selbst war leider nicht so gut trainert, und bekam das auch langsam zu spüren. Ansonsten waren uns die Bedingungen aber zunächst gut gesonnen. Zuvor galt es, den zweiten Gipfel der Tour zu erstürmen (und weitere acht sollten noch folgen in den nächsten 3 Tagen!?!)

Kurze Verschnaufpause auf dem Sattel vor dem Gipfelaufstieg

„Castor“ ist, im Gegensatz zu seinem Bruder „Pollux“ ein Schneegipfel, der keine Kletterpassagen erfordert. Ich erinnerte mich noch lebhaft an die Besteigung des Pollux, und an die Dramen, welche sich an den Kletterketten abgespielt hatten (siehe anderen Beitrag). Das blieb uns hier zum Glück erspart. Man sollte die Höhe und das steile Gelände jedoch nicht unterschätzen. Ich wünschte mir öfters, ich hätte „leichter“ gepackt.

Klaffende Gletscherspalte auf dem Weg – da muß man einen stabilen Überweg suchen

Der Aufstieg, vorbei (und hinüber) an klaffenden Gletscherspalten und über steile Eisflanken war anstrengend. Meine früheren Erfahrungen mit Steigeisen und Eispickel kamen mir hier sehr zur Hilfe, im Gegensatz zu meiner moderaten Kondition. Der Anstieg über die steile Flanke war eine gute Vorbereitung auf den berüchtigten „El Naso“ Passes (der „Al Capone“ unter den Bergpässen 😉 ). Der Bergführer stieg vor und sicherte uns von oben. Man musste sich auch immer mit anderen Seilschaften irgendwie arrangieren.

Steiler Anstieg mit ein paar eingeschlagenen Trittmulden

Aber, wie immer, jeder Gipfel belohnt die Mühen. Zumindest, wenn man ihn und die Umgebung sehen kann.

Herrliche Gratwanderung
Castor und zufriedene Seilpartner

Der Abstieg nach dem „Castor“ ging hinab zur „Sella-Hütte“/Refugio Quintino-Sella (3585 m), von der aus wir am nächten Morgen den anstrengensten Tag mit fünf Gipfen über viertausend Meter angehen wollten. Der Hüttenkomfort war vergleichbar mit der vorherigen Hütte: leckerer Kuchen, Kaffee ok, Preise ok (im Vergleich zur Schweiz), Schlaf- und Hygienebedingungen…nun ja. Das ist der Preis für die exklusive Lage hier oben. Spaghetti gab es wieder keine. Dafür einen recht enttäuschenden Veggiburger, auf den sich viele schon gefreut hatten – bis das Ergebniss gebracht wurde: ein Haufen Linsen (das sollte vermutlich das Patty sein), allerdings ohne Brot…schade, dass ich diese entrüsteten Gesichtsausdrücke nicht fotografisch festhalten konnte…

5. Juli 2023

Heute wurde es interessant. Unter den vier Gipfeln von heute wartete zuerst der „El Naso“ (4272 m) auf uns, der vorab duch eine steile Eisflanke, den Pass auf 4100 m, „erobert“ werden wollte.

Schon viele Finger haben auf diesen Pass gezeigt. Die Hüttenkarte hat viele Bergsteigerfinger gespürt.

Wir verliessen die Hütte zeitig, da wir uns auf mögliche Verzögerungen beim „El Naso“ (wir kürzen ihn später nur noch mit „der Nasenbär“ ab 🙂 ) einstellen mussten. Der Himmel war klar, mit den kühlen Farben der eisigen Bergwelt und den warmen Farben der aufgehenden Sonne wunderschön. Das anfängliche Frösteln beim Verlassen der Hütte verging rasch mit der zunehmenden Anstrengung in Richtung Gipfelwelt.

Der Himmel war noch klar, aber die ersten Wolken kündigen sich bereits an

Im Hintergrund bewegen sich einige Seilschaften auf den „El Naso“ Pass zu.
Unser Bergführer stieg vor und sicherte unseren Aufstieg durch die Felsen von oben. Über dem Fels begann direkt eine steile, eisige Flanke, die Schlüsselstelle des „El Naso“ Passes (4100 m).
Hier war uns noch zum Lachen – später wurde es ziemlich anstrengend

Die Passage in dem steilen Eis hat keiner von uns fotographiert, alle Kräften mussten auf den Aufstieg konzentriert werden. Wir hatten drei oder vier Seillängen, bei denen wir uns, an der Eisschraube gesichert, nacheinander mit Steigeisen und Pickeleinsatz hocharbeiteten. Zum Glück waren an manchen Stellen bereits Tritte ins Eis geschlagen, welche uns die Arbeit mit den Frontzacken erleichtern würden. Das ständige Stehen auf den Frontzacken erfordert viel Kraft in den Waden, es sei denn, man schafft es, diese lang zu lassen, während man klettert (Profitechnik). Als wir bei der Eisschraube auf das Signal warteten, kletterte eine französische Seilschaft mit Führer an uns vorbei, und blockierte so mit ihrem Seil die Eisstufen für uns. Ein grobes Foul! Sollten wir abwarten, bis die Seilschaft durch ist, um die Stufen anschliessend nutzen zu können? Das konnte allerdings dauern und oben zerrte bereits unser Bergführer an dem Seil, dass wir nachkommen sollten. Wir bissen in den sauren Apfel und stiegen parallel die glatte Eisflanke ausschliesslich auf Frontzacken mit Pickeleinsatz hoch. Das war extrem anstrengend und kräftezehrend, und sogar die Jungs gaben später zu, bei dieser Kletterei „mal kurz an ihre Grenzen gekommen“ zu sein. Oben angekommen, vermittelte ich dem französchen Bergkollegen kurz meine Meinung zu seiner Aktion.

Blick vom „Naso“ ins sommerliche Tal

Wenn man sich in einer Welt aus Eis und Schnee bewegt, erscheint der Blick ins sommerlich grüne Tal irgendwie surreal. Wenn wir uns mit unserer Ausrüstung von einem Moment auf den anderen dort unten befinden würden, würden wir auf der Stelle in unseren warmen und winddichten Klamotten eingehen vor Hitze. Was für ein Glück, dass wir auf gut viertausend Meter Höhe waren.

Von einem Gipfel geht der Blick schon auf die nächsten: „Ludwigshöhe“, „Schwarzhorn“, „Balmenhorn“ und „Vincentpyramide“.
Immer wieder auf und ab führte das Gelände

Der höchste Erhebung des „Naso“ (4272 m) stand nach dem anstrengenden Pass etwas im Schatten und wurde kaum beachtet. Die anderen Gipfel warteten schon. Den Schneegipfel der „Ludgwigshöhe“ (4342 m) nahmen wir vorab bei strahlendem Sonneschein mit. Als nächste Herausforderung stand uns das „Schwarzhorn“ mit 4322 m bevor, eine Mischung aus Felsklettern und steilen Flankenaufstieg. Wir kletterten mit unseren Steigeisen, die wir ohnehin die ganze Zeit an den Füßen hatten, bis zum Gipfel. Die schweren Rucksäcke hatten wir am Fuß deponiert.

Ein steiler Anstieg zum „Schwarzhorn“ (4322 m)

Wieder einmal musste ein steiler Anstieg überwunden werden, den unser Bergführer von oben sichern wollte. Die Flanke war zum Glück kürzer und nicht so eisig wie der „Passo El Naso“, aber unsere Kräfte waren schon recht verbraucht. Die Präsenz anderer Seilschaften machte die Besteigung auch anstrengender, weil man immer wieder warten musste und nicht das eigene Tempo wählen konnte. Mit ungemindertem Tempo änderte sich aber leider das Wetter; Wolken zogen auf, und die Sichtweite verringerte sich zunehmend.

Auf dem Gipfel des „Schwarzhorn“ ist nicht viel Patz, und man muss zuvor eine ausgesetzte Scharte überwinden. Wir mussten warten, bis die vorige Seilschaft den Posten um die Madonnenstatue verlassen hatte. Die tat sich allerdings schwer damit, ihre Seilkollegen abzulassen, die plötzlich einen kleinen Panikanfall bekamen. Nur mit behutsamem Zuspruch und Geduld konnten endlich alle abseilen.

Wenig Platz für eine Seilschaft, Teamwork ist angesagt

Auch wir mussten mit sich verschlechternder Sicht, scharfem Wind und Kälte zurechtkommen und dem Abgrund um uns herum trotzen. Aber schlussendlich schafften wir es, uns alle gemeinsam auf den schmalen Fels zu quetschen und das Gipfelfoto zu schießen, bevor wir uns einzeln abseilten. Dabei musste man aufpassen, nicht in die spitzen Felszacken unter dem Absatz zu pendeln, und sich vorsichtig, ohne Impulse zum Schwingen zu generieren, abgleiten lassen. Was wir sourverän schafften.

Wir nahmen noch ein durchgefrorenes Mitglied einer anderen Seilschaft bei uns auf (der Summit Club war mit mehreren Seilschaftern auf der Tour unterwegs, und wir trafen uns immer wieder auf den Hütten), welches die letzten Gipfel nicht mehr besteigen wollte. Sie wartete, komplett durchgefroren, auf ihre Kollegen, und wir beschlossen, dass wir sie hier unter diesen Bedingungen nicht alleine lassen konnten. Abends in der Hütte konnte sie zu anderen stoßen.

Der nächste Gipfel, das Balmenhorn (4167 m), war direkt daneben. Der Weg dahin führte uns an kaum sichtbaren und daher gefährlichen Gletscherspalten und Eisblöcken vorbei.

Anders als die vorigen Gipfel war das „Balmenhorn“ (4167 m) ein kleiner Felsgipfel, den man auf einem kurzen Klettersteig erklomm. Kurze, spaßige Kletterei, und oben erwartete uns eine völlig überdimensioniert anmutenden Jesusstatue.

Klettersteig am „Balmenhorn“

Aber ein letzter Gipfel des Tages stand uns noch bevor. Die „Vinzentpyramide“ (4215 m) war quasi auf dem Weg zur „Ginfetti-Hütte“, und die wollten wir uns nicht entgehen lassen. Die Wolken hatten uns mitlerweile komplett eingehüllt. Man konnte die anderen Seilschaften um uns herum nur noch schemenhaft erkennen, aber es war noch estaunlich viel Betrieb hier oben, und die Stimmung war gut. Solange man einen Ortskundingen dabei hatte, der den Weg fand, war man relativ sicher. Vor nicht allzulanger Zeit ist eine Seilschaft auf der Haute Route komplett tödlich verunglückt. Sie hatten sich kurz vor der Hütte im dichten Nebel verirrt und waren von der Route abgekommen. Alle sind erfroren.

Das sollte unser Schicksal nicht sein. Aber auch unser letzter Gipfel für heute lies sich kaum noch erkennen. Wir haben natürlich trotzdem ein Gipfelgruppenfoto geschossen. Hätte aber auch genauso gut irgendwo an der Küste im Nebel sein können.

Die „Vinzentpyramide“ (4215 m) im Nebel – mehr zu errraten denn zu erkennen.
Reicht das als Beweis ohne Referenzpunkte? Wir waren jedenfalls alle oben!
Abstieg im Nebel

Nach der Tour freuten wir uns auf die Hütte, an den Standard hatten wir uns gewöhnt. Wir stapften durch den Nebel hinab. Der Schnee war ohne die vorige Sonneneinstrahlung wenigstens etwas fester als in den Tagen davor. Alles hat sein Gutes.

Die letzten Meter zur Hütte, endlich angekommen!

In der Hütte (Refugio Gnifetti, 3625 m) war es voll, feucht-stickig und eng – aber der Kuchen war wieder einmal gut. Beim Bettenlager gab es eine weitere Steigerung: 3 Stockwercke Stockbetten, und die untersten waren natürlich schon durch andere besetzt. Wir zogen in Etage 2 und 3 ein, fast unter der Decke, und kletterten mit unseren Sachen über schmale senkrechte Holzleitern, dabei platzsuchend für unsere Rucksäcke. Die armen Beine! Eigentlich wäre es unser Schicksal gewesen, zweimal in dieser Hütte zu übernachten. Zum Glück hat es unser Bergführer geschafft, uns einen Platz in der Monte-Rosa Hütte (CH) zu besorgen. Das bedeutete aber für morgen einen zeitigen Aufbruch, da wir noch drei Gipfel und den Monte-Rosa-Gletscher vor uns hatten, und das Wetter für den Nachmittag nicht mehr so gut aussah. Es würde ein Rennen gegen die Zeit werden.

Ausblick von der Gniffetti-Hütte
Das Wetter kann schnell umschlagen in den Bergen

5. Juli 2023

Die letzten Gipfel der Tour standen für heute an. Wir waren voller neuer und schöner Eindrücke hier oben in der fast ewigen Schneegipfelwelt, aber auch schon ziemlich k.o., und unsere Sachen entsprechend klamm und auch nicht mehr ganz frisch. Ich freute mich schon auf die Dusche übermorgen.

Der heutige Tag versprach aber noch einmal spannend zu werden: die höchsten Gipfel der Tour, und das Highlight würde die „Capanna Margherita“ auf 4554 m Höhe werden. Die höchste Berghütte Europas und gleichzeitig ein Forschungszentrum für Höhenphysiologie (z.B. durch das DLR).

Wir stiegen wieder hinauf in den Schnee – unser Ziel (die Signalkuppe mit der Hütte) lag fast 1000 Höhenmeter über uns.

Eine Schlange von Bergsteigern, wie eine Pilgerfahrt zum Gipfel, jenseits der Vinzentpyramide

Wie stiegen an den Gipfeln des gestrigen Tages wieder vorbei, da diese auf der Route zur „Signalkuppe“ (4553 m) lagen, auf der die „Margherita Hütte“ auf 4554 m lag. Das ist eine äußerst interessante Lage einer Schutzhütte für Höhenforscher, aber auch für Bergsteiger. Auf dieser Höhe zu schlafen, ist ein besonderes Erlebnis, welches wir auf dieser Tour leider nicht erfahren würden. Aber wir hatten das erklärte Ziel, dort oben einen Kaffee zu trinken!

Die Kollegen der anderen „Summit Club“ Seilschaft
Faszinierende Wolkenshow über den Gipfeln

Zuvor wollten wir aber noch die „Parrotspitze“ (4434 m) mitnehmen, die südlich von der „Ludwigshöhe“ auf dem Weg zur „Signalkuppe“ lag. Jeder Gipfel ist allerdings auch ein Gipfel, d.h. es ging auf den letzten Metern wieder steil bergauf.

„Parrotspitze“ mit Windfahne (d.h. da oben zog es ordentlich)

Der Weg auf die „Parrotspitze“ (4434 m) führte über einen ausgesetzten Grat, was immer einen tollen Rundumblick ermöglicht. Es wehte aber auch ein strenger (= kräftiger und eisiger) Wind, und wir mussten aufpassen, nicht vom Grat geweht zu werden. Wir zogen alle Klamottenschichten an, die wir hatten. Einer anderen Seilschaft sind wir hier nicht begegnet.

Es wehte ein eiskalter Wind, daher „verschoben“ wir das „Gipfelfoto“ in einen etwas geschützteren Bereich

Da es auf dem Gipfel zu kalt und stürmisch war, blieben wir nur einige Augenblicke dort, bevor wir wieder abstiegen. Das Gipfelfoto holten wir hinter einem Fels, der uns ein bisschen Windschutz gab, nach. Dann ging es weiter Richtung Signalkuppe. Das wurde nochmal ein sehr anstrengender Anstieg. Zum einen durch starke Temperaturunterschiede zwischen Schatten (saukalt) und Sonne mit Schneereflektion (sauheiss), und dann wegen meiner suboptimalen Bergkondition. Diese wenigen Tage reichen nicht aus, wenn man es nicht wenigstens mit ausgezeichnetem Training wettmachen kann, was ich in den letzten Jahren offenbar besser hinbekommen hatte als dieses Mal. Phasenweise war jeder Schritt pure Willenskraft, und hätte mich in diesem Moment ein Serac erschlagen wollen, es wäre mir grad egal gewesen, so erschöpft war ich. Den Jungs ging es besser, das kratzte schon auch ein bisschen an meinem Stolz. Das erste mal war ich das schwächste Glied in einer Seilschaft (die, wie man zu meiner Verteidi-gung sagen sollte, äußerst stark war). Nun ja, ich wusste ja, wo es herkam. Und da es auch keine Alternative gab, denn hier oben kommt man eben nur zu Fuß, ggf. auf Skiern oder per Helikopter, weg. Letzterer stand mir gerade nicht zur Verfügung, also musste ich es eben so schaffen. Der Kaffee wartete ja schon auf uns.

Die „Margherita-Hütte“ thront auf der Signalkuppe (4553m), und wir deponierten unsere Ausrüstung auf dem Sattel.
Aussicht auf Abgrund – Eingang zur Margherita Hütte
Und endlich der Kaffee (auf 4554 m Höhe)!!

Es war herrlich, oben auf dem Gipfel den Luxus einer Hütte genießen zu können. Dern Kaffee und Kuchen, und sogar eine Gipfelpizza gab es, die man sich nicht nehmen lassen wollte. Wir erholten uns kurz, ich besichtigte die Hütte (fand leider keine Forschungslabore 😉 ) aber wir hatten auch nicht allzuviel Zeit. Nicht mal die Toiletten habe ich ausprobiert, noch eine weitere Steigerung: nicht mal Wasser aus Kanistern, sondern lediglich ein Stock wurde benutzt, um die härteren Überreste in den Abschluss zu schieben. Na, da habe ich ja echt was verpasst! Wenn man einen (wasser)sparsamen und effizienten Lebenstil ausprobieren möchte, sollte man mal eine Weile auf einer Berghütte leben.

Die „Zumsteinspitze“ (4563 m) im eisigen Wind

Wir hatten eigentlich noch die „Zumsteinspitze“ (4563 m) auf der Liste, allerdings verschlechterte sich das Wetter und unser Zeitfenster musste noch reichen für die Durchquerung des Monte-Rosa-Gletschers und dessen Gletscherspaltenlandschaft. Daher entschieden wir uns gegen den letzten Gipfel, und damit wurde unsere „Endwertung“ von 10 auf 9 Gipfel reduziert – diese erklommen wir allerdings in vier Tagen anstatt sechs!

Wenige Tage zuvor war hier oben unterhalb der Hütte ein Hubschrauber abgestürzt (alle Insassen haben überlebt),

Nicht nur dem Mensch kann die Höhe zusetzen. Auch für Helikopter kann die dünne Luft in Kombination mit anderen meteorologischen Herausforderungen unglücklich enden. Das geschah zwei oder drei Tage vorher, nach einem Versorgungsflug der Hütte (anders bekommt man hier kaum all die Lebensmittel, die Forscher und das Wasser hoch). Wir sahen noch ein paar Überreste der Maschine, ein Großteil der Trümmer war aber schon abgeholt worden. Zum Glück wurde dabei wohl keiner verletzt, und bestimmt hat man bei den Meistern der schweizer Lüfte auch wieder etwas dazu gelernt.

Unser Weg führte nun hinab zum Monte-Rosa Gletscher, und erneut bot sich ein atemberaubendes Panorma.

Schön und gefährlich – hängende Gletscher über dem Pfad

Hier oben ist eine faszinierende wie tödliche Welt, wenn man nicht weiß, wie man sich in ihr bewegen muss. Und wir kleinen schwachen Menschlein schaffen es, uns die nötige Infrastruktur, Ausrüstung und Können anzueignen, um darin überleben zu können. Sogar zum Spass. Und notfalls auch ohne Spaghetti.

Die Passage der Gletscherspalten im Monte-Rosa-Gletscher verlangte nochmal Kraft, aber gleichzeitig war es total cool. Keiner von uns wollte in einer Gletscherspalte enden, obwohl es hier sehr viele Möglichkeiten dazu gab. Es macht eben schon einen Unterschied, ob man mit oder als Profi unterwegs ist, oder leichtsinning über Sicherheitsstrategien hinweggeht, weil man es nicht besser weiß. Hier oben kann Leichtsinn auch schnell mit dem Leben bezahlt werden.

Abseilen über Gletscherspalten ist kräftezehrend
Alter Saharasand färbt den Schnee leicht rosa

Nach der Gletscherpassage staksten wir wieder über loses Geröll und Felsplatten, und erreichten glücklich vor dem Wetter die moderne, etwas tiefer als die anderen Hütten gelegene und verhältnismäßig luxuriöse Monte-Rosa-Hütte (2883 m). Man hätte hier gegen Bezahlung sogar duschen können, aber uns reichte Kaffee, Kuchen und Bier, eine erholsamere Nacht und fließendes Wasser. Man sollte nix überstürzen.

6. Juli 2023

Monte-Rosa-Gletscher mit „Matterhorn“, „Dent Blanche“, „Obergabelhorn“, „Wellenkuppe“

Am Morgen genossen wir einen Traumblick auf das „Matterhorn“ (4478 m) von der Terrasse der Hütte, mit dem Gletscher zu Füßen. Die Hütte, und auch der Zugstiegsweg zur Hütte sind vor einigen Jahren nach weiter oben verlegt worden, da die Stabilität des Gletschers nicht mehr so gegeben ist und Geröllfelder den Weg beschwerlicher machen. Wir nahmen den neuen Weg über den ausgeaperten Gletscher, und näherten uns entspannter Stimmung und bei bestem Wetter langsam (3-4 h Marsch bis zur Gornergratbahn Station) der Zivilisation.

Holzbrücken führen über Gletscherbäche
Kleine Pause auf der Gletschermoräne
Im Hintergrund erkennt man an markanten Linien in der Landschaft, bis wohin einst der Gletscher gereicht hat, der nun rapide schmilzt
Hier werden die Steigeisen für die Gletscherüberquerung ein letztes Mal angelegt
Der Übergang zwischen Gletscher und Fels, gleichzeitg Übergang zwischen zwei Welten. Auf diesen glattgeschliffenen Felsen lag bis vor wenigen Jahren noch ein dicker Eispanzer

Je tiefer wir kamen, umso mehr roch es nach Pflanzen. Es war noch früh am Tag, aber auch die Sonne wärmte uns auf eine angehme Weise, nicht so brutal wie auf dem reflektierenden Schnee. Die ersten Flechten, Mooskissen und kleine Pionierpflanzen säumten unseren Weg. Es war unbeschreiblich schön!

„Monte Rosa“ Gletscher, und im Hintergrund „Lyskamm“ und „Monte-Rosa“- Massiv
„Breithorn“ und „Klein Matterhorn“ thronen im Hintergrund über dem Gletscher

Wir genossen die letzten Augenblicke in der stillen, wilden Natur. Nicht wenige Momente später, wenn wir uns der Station näherten, würden uns Touristen umschwirren, auf dem Weg zum „Fotosee“ (Stellisee) für das Selfie ihres Lebens. Sie haben keine Vorstellung von dem, was wir in den letzte Tagen gesehen und erlebt haben. Dazu muss man seine Komfortzone deutlich verlassen – und wird fürstlich belohnt (sogar ohne Spaghetti 🙂 )!

Schweiz/Italien, 2023

Alle Bilder: Nora Petersen, CC BY SA 4.0